Das Grußwort kommt aus unserer Schwestergemeinde und wurde von Pfarrer Hans-Joachim Greifenstein im Schwanheimer Gemeindespiegel veröffentlicht. Diese eindringlichen Gedanken zur derzeitigen politischen Gemengelage hier in Deutschland mit Parallelen zu Ereignissen in fernen und nicht so fernen früheren Zeiten, möchten wir auch Ihnen ans Herz legen.
Liebe Leserinnen und Leser des Gemeindespiegels!
Ich möchte derzeit kein Landes- oder Bundespolitiker sein. Der Job ist schlechter bezahlt und zeitraubender als viele denken und man muss sich – wenn man es gut machen will – mit wirklich komplizierten Fragen herumschlagen: „Wie können Arbeitsplätze im Zeitalter der Digitialisierung zukunftsfest gemacht werden?“ - „Wie lösen wir das Rentenproblem?“ - „Wie soll die Energiewende gestaltet werden?“ - „Wie begegnen wir der weltweiten Flüchtlingskrise?“ usw. usf. Und dann muss man sich noch in Konkurrenz zu Leuten begeben, die mit Stammtischparolen als Politik-Ersatz hausieren gehen, mit Phrasen wie z.B.: „Der Islam gehört nicht zu Deutschland.“
Um so was zu sagen braucht man eigentlich nicht viel Ahnung von irgendwas zu haben, aber man bekommt derzeit eine Menge Zustimmung dafür. Keines der oben aufgelisteten Probleme wird damit gelöst. Das sollen sie damit auch gar nicht. Was man dafür zur Zeit billig bekommt sind Wählerstimmen, Abgeordnetensitze, Diäten und Staatsgelder. Populismus ist der Teil des politischen Geschäftes den auch schlichte Gemüter eine Zeit lang erfolgreich betreiben können.
Politik ist die Lehre vom guten Zusammenleben der Menschen. Sündenbock-Krakeel hat damit nichts zu tun. Leider bringt er immer wieder mal kurzfristig Erfolg. Und darum wird es immer wieder: Türken gingen so gegen Armenier vor (1916), Singhalesen gegen Tamilen (1983-2009), Hutus gegen Tutsis (1994), US-Amerikaner gegen Mexikaner (1846-1848), Japaner gegen Chinesen (1937-1945), Deutsche gegen Juden (1933-1945), Russen gegen Krimtataren (1921-1922), Niederländer gegen Indonesier (1945-1949), Franzosen gegen Algerier (1954-1962) usw. usf.
Nicht immer führt das zu Völkermord, aber immer zu Wahrheitsmord. Da wird verkürzt, verallgemeinert, unterstellt, gelogen, gehetzt – das erste Opfer ist immer die Wahrheit, das zweite die diskriminierte Minderheit und am Ende – manchmal früher, manchmal später, aber am Ende doch immer – müssen auch die Täter ihre Rechnung bezahlen.
Tatsache ist: Es gibt in unserem Land seit Jahrzehnten eine Minderheit, die sich zum islamischen Glauben bekennt und Teil unserer Gesellschaft ist. Vor 50 Jahren hat Deutschland in der Türkei Anwerbebüros eröffnet und türkische Arbeitskräfte nach Deutschland eingeladen. Man hat diese Menschen dringend gebraucht, besonders für Arbeiten, die Deutsche nicht mehr so gerne machen wollten: in Stahlwerken, Kohlegruben, in der Akkordarbeit in der Industrie. Viele Frauen haben als Putzfrauen gearbeitet. Dass sie dabei Kopftücher getragen haben hat seiner Zeit kaum jemand gejuckt, damals trugen deutsche Frauen auch noch Kopftücher und die Hauptsache war ja, dass der Boden sauber und der Lohn der Putzfrau nicht allzu hoch war. Diese Arbeitskräfte waren aber keine Roboter, sondern nach Feierabend auch noch Menschen und nicht wenige von ihnen hatten und haben religiöse Bedürfnisse.
Und das ist dürfte ja im Grunde auch für niemand ein Problem sein, denn diese auszuleben ist ihr gutes Grund- und Menschenrecht.
Im Artikel 3 unseres Grundgesetzes heißt es:
(1) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich.
(3) Niemand darf wegen seines Geschlechtes, seiner Abstammung, seiner Rasse, seiner Sprache, seiner Heimat und Herkunft, seines Glaubens, seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden. Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Und im Artikel 4:
(1) Die Freiheit des Glaubens, des Gewissens und die Freiheit des religiösen und weltanschaulichen Bekenntnisses sind unverletzlich.?
(2) Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet.
Und im Artikel 18 der Allgemeinen Menschenrechte der Vereinten Nationen heißt es:
Jeder hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit; dieses Recht schließt die Freiheit ein, seine Religion oder seine Weltanschauung zu wechseln, sowie die Freiheit, seine Religion oder seine Weltanschauung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, öffentlich oder privat durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Kulthandlungen zu bekennen.
Grundrechte und Menschenrechte gelten nicht nur für Leute, die wir nett und sympathisch finden, sie gelten für alle Menschen. Und genau so wie ein deutscher evangelischer Ingenieur in Teheran das Recht hat einen Gottesdienst gemäß seiner Konfession zu besuchen (und das auch kann), hat das auch ein türkischer Taxifahrer in Bensheim. Wer das bestreitet, setzt sich in Widerspruch zum Grundgesetz und zu der Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen.
Wir haben in unserem Land über Jahrhunderte grausame, sinnlose und blutige Religionskriege geführt und sind heute dankbar, dass wir das überwunden und einen stabilen Religionsfrieden in unserem Land haben. Das ist ein kostbares Gut und muss gegen Angriffe jedweder Art verteidigt werden.
Mein Glaube ist mir lieb und teuer und darum viel zu kostbar, als dass Leute, die wir nie in unseren Kirchen sehen, sich zu selbst ernannten Rettern des christlichen Abendlandes aufspielen und das Christentum als Spaltmaterial missbrauchen. Unsere islamisch gläubigen Mitbürgerinnen und Mitbürger gehören zu uns. Für uns alle gilt das Grundgesetz unseres Landes. Wer sich daran hält, hat hier seinen Platz. Wer mutwillig den Frieden zwischen uns zerstört – warum auch immer – wird sich vor der Geschichte dafür verantworten müssen.
Ich bin allen verantwortlich denkenden und handelnden Frauen und Männern in der Politik dankbar, die nicht der Verführung erliegen, durch billige Parolen Stimmen zu fangen, sondern die ernsthaft an den Lösungen unserer Probleme arbeiten. Ihnen sollten wir vertrauen und nicht den bösen Clowns.
Ich grüße Sie und Euch alle aus dem Schwanheimer Pfarrhaus mit dem Wochenspruch für Juni 2016: „Meine Stärke und mein Lied ist der Herr, er ist für mich zum Retter geworden.“? (2. Mose 15,2)
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